Archiv vom April, 2014
MAZ-Dozentin Anja Niedringhaus in Afghanistan erschossen
Einen Tag vor den Wahlen in Afghanistan ist die deutsche Kriegsfotografin Anja Niedringhaus dort am 4.4.2014 erschossen worden. Schrecklichkeiten hätten sie magisch angezogen, meint Reto Camenisch, Studienleiter Pressefotografie am MAZ. Und Beat Rüdt, MAZ-Studienleiter Visuelle Publizistik, erinnert sich an ihre MAZ-Auftritte.
Im letzten Jahr (2013) hat Anja Niedringhaus am MAZ während fünf Tagen Pressefotografen unterrichtet. Was ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Reto Camenisch: Anja war eine sehr direkte Person. Sie nahm kein Blatt vor den Mund und zeigte keine Hemmungen. Gleichzeitig war sie sehr fein in ihrer Wahrnehmung.
Wie hat sich das gezeigt?
Camenisch: Anja Niedringhaus hat viel Wärme ausgestrahlt, sie wirkte überhaupt nicht abgebrüht wie andere Kriegsreporter. In ihren Bildern über die Schrecklichkeiten des Krieges spricht sie eine weibliche Sprache?
Wie äussert sich das konkret in ihren Fotos?
Camenisch: Anja war nah genug dran für Details und genug weit weg, um den Überblick zu behalten. Ihre Bilder sind nie vulgär, obwohl sie Kriegsgräuel zeigen. Sie hat stets eine gewisse Distanz bewahrt zum eigentlichen Geschehen.
War sie eine klassische Kriegsreporterin, die von einer Schlacht in die nächste zog?
Camenisch: Schrecklichkeiten haben sie magisch angezogen. Insofern ist es vielleicht ein Widerspruch, dass sie auch in der Sportfotografie aktiv war. Sie interessierte sich fürs Schnelle und Grobe. Und schaffte es dennoch, feine Bilder zu machen.
Wie reagierten deine Studierenden auf Anja Niedringhaus?
Camenisch: Die Studierenden waren fasziniert von dieser Frau, die sich für Kriege interessierte. Auch weil sie etwas Männliches hatte – aber durch und durch Frau blieb. Das zeigte sich etwa darin, dass sie sehr gut zuhören konnte.
Interview: Reto Schlatter
„Gott ist gross“, schreit der Soldat und zielt mit seiner Waffe auf die beiden Frauen, die auf der Rückbank des Autos sitzen. Die Fotografin und die Journalistin begleiten Wahlhelfer in der afghanischen Provinz Khost, als sie die Kugeln aus dem Lauf eines für ihre Sicherheit zuständigen Soldaten treffen. Die eine stirbt, die zweite überlebt schwer verletzt.
Es könnte eine der Geschichten sein, die Anja Niedringhaus erzählte, wenn sie vor den Studierenden am MAZ stand. Oder anlässlich des vom MAZ initiierten Besuch bei Keystone in Zürich mit ihrer Kollegin Kathy Gannon, an dem die beiden Frauen von ihren Reisen in Afghanistan berichteten. Von Reisen voller verrückter Episoden, Treffen mit Warlords, korrupten Soldaten, bestechlichen Lastwagenfahrern, amerikanischen Soldaten, afghanischen Mädchen, Mohnbauern, Taliban, Taxifahrern, Kriegsgefangenen. Wer Anja Niedringhaus zuhören durfte erlebte Afghanistan hautnah und erfuhr noch viel mehr, als ihre preisgekrönten Fotografien zeigen konnten.
Doch diese Reise war ihre letzte Reise. Anja Niedringhaus ist tot, Kathy Gannon schwer verletzt. Ihre Bilder werden bleiben. Ihre faszinierenden Erzählungen werden uns fehlen.
Beat Rüdt, MAZ-Studienleiter Visuelle Publizistik
Bilder von Anja Niedringhaus werden ab dem 11. April 2014 in der Winterthurer Galerie Coalmine ausgestellt